Städte Vergleich
Die Festungsstädte Ulm und Magdeburg – ein Vergleich
Ulm war eine Freie Reichsstadt. Magdeburg bemühte sich vergeblich um diesen Status. Ulm war eine der flächengrößten Reichsstädte und im Reichstag vertreten. Dagegen betrug die Ausdehnung der Magdeburger Stadtflur einen Bruchteil davon. Im Süden bzw. Norden schlossen die politisch selbständigen Städte Sudenburg und Neustadt an. Als 1802/03 das Territorium der Freien Reichsstadt an das Kurfürstentum Bayern fiel, hatte es eine Größe von 1260 km² und zählte rund 50.000 Einwohner. Vergleichsweise haben die heutigen Stadtgebiete von Magdeburg, Bremen und Berlin eine Ausdehnung von 201, 318 bzw. 852 km².
Seine Unabhängigkeit konnte Ulm bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts wahren, wozu auch das Befestigungsrecht gehörte. Magdeburg verlor seine Wehrhoheit bereits 1666. Die städtische Selbstverwaltung fand 1680 ihr endgültiges Aus. 1802/1803 gliederte das Kurfürstentum Württemberg das Gebiet der Reichsstadt Ulm in sein Territorium ein. 1810 gelangt der südlich der Donau gelegene Teil an Bayern, weshalb die Donau heute noch die Grenze zwischen den Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern bildet. Auf bayerischer Seite gegenüber der Ulmer Altstadt entwickelte sich Neu-Ulm, das nach 1840 in die Umwallung der Bundesfestung Ulm einbezogen wurde.
Ulm (126.000 Einwohner) bildet zusammen mit Neu-Ulm eine Doppelstadt mit rund 190.000 Einwohnern. Sie ist ein Industrieschwerpunkt durch den Maschinen- und Fahrzeugbau sowie die Elektrotechnik und Elektronik. Seit 1967 ist Ulm Universitätsstadt. Eine Fachhochschule mit dem Schwerpunkt Ingenieurwissenschaften kommt hinzu. Ulm war bis in jüngste Vergangenheit der Ausgangspunkt einer flussabwärts gerichteten Donauschifffahrt. Es liegt an der Eisenbahnstrecke Stuttgart – München und ist im Gegensatz zu Magdeburg ein dichtfrequentierter ICE-Halt. Unweit der Stadt kreuzen sich die Bundesautobahnen A 7 (Hamburg – Kassel – Würzburg – Füssen) und A 8 (Karlsruhe – München – Salzburg).
Ulm hat wie Magdeburg eine bis in fränkische Zeit zurückreichende Geschichte. 854 wurde es zum ersten Mal erwähnt, was für Magdeburg bereits 806 geschah. Bei der umwallten Stadtfläche übertraf Magdeburg bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts Ulm um zirka das Doppelte. 120 Hektar hier stehen 66,5 dort gegenüber. Die Einwohnerzahl Ulms wird um 1500 mit 17.000 angegeben, während die von Magdeburg ohne die beiden Vorstädte 25.000 erreichte.
Der Reichtum der handel- und gewerbetreibenden Stadt Ulm war so groß, dass sie aus eigener Kraft das Münster, eine Stadtkirche, errichtete, die in ihren Abmessungen alles bis dahin Dagewesene übertraf. Während der hochgotische Magdeburger Dom 1209 zu bauen begonnen wurde, setzten die Bauarbeiten an dem gotischen, fünfschiffigen Münster erst 1377 ein, also zu einem Zeitpunkt als der Magdeburger Dom bereits seine Schlussweihe erfahren hatte. Die Münsterkirche ist 124 m lang und 49 m breit. Ihr Turm ist der höchste Kirchturm der Welt und misst 161,53 m. Die Länge des Magdeburger Doms beträgt 120 m und seine maximale Breite 43 m. Die Türme haben eine Höhe von 103 m.
Der Übergang zur Reformation vollzog sich in Ulm ab 1524 zeitgleich zu Magdeburg. Wie Magdeburg trat Ulm dem Schmalkaldischen Bund bei, der 1547 in der Schlacht von Mühlberg dem Kaiser unterlag. Ulm entging nach der Schlacht einer kriegerischen Auseinandersetzung, weil es schon vorher mit dem Kaiser einen Sonderfrieden schloss. Das sich widersetzende Magdeburg wurde dagegen 1550/51 belagert, was mit einem Vergleich endete. Von 1512 an bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war Ulm Sitz des Schwäbischen Reichskreises, eine damals neu geschaffene Verwaltungseinheit des Heiligen Römischen Reiches, während für Magdeburg seine bedeutende Stellung in der Hanse verloren ging. Ulm war ab 1694 Verwaltungssitz und Waffenort eines stehenden Truppenkontingents der Reicharmee. Der 30jährige Krieg bedeutete sowohl für Ulm als auch für Magdeburg den wirtschaftlichen Niedergang. Warenumschlagsplatz an bedeutenden Wasserstraßen zu sein, begünstigte für beide Städte eine wirtschaftliche Erholung.
Der Beginn der Ummauerung Ulms war 1131-1134. In etwa die gleiche Zeit fällt die erste Gesamtummauerung Magdeburgs, die im 13. Jahrhundert eine Erweiterung nach Norden erfuhr. Die Gesamtummauerung von Ulm, die mit dem Einbeziehen von Siedlungen verbunden war, wurde 1316 in Angriff genommen. Etwa zeitgleich zu Ulm begann auch in Magdeburg der Ausbau der mittelalterlichen zur frühneuzeitlichen Befestigung. In Ulm betraf das die Befestigung des Donauufers, eine Zwingeranlage, die im Wesentlichen bis heute erhalten geblieben ist. Ab 1527 begann der planmäßige Ausbau Ulms zur Festung nach den Vorstellungen Albrecht Dürers durch den Nürnberger Hans Beham d. Ä. Anfang des 17. Jahrhunderts begann Gideon Bacher die Bastionierung nach der alt-italienischen Festungsmanier, die durch den überragenden Festungsbaumeister Johann von Valckenburg nach der alt-niederländischen Manier zum Abschluss gebracht wurde. Magdeburg vollendete seine damals beachtete frühneuzeitliche Befestigung während der Belagerung von1550/51. Es verzichtete bis in den 30jährigen Krieg hinein auf einen weiteren Ausbau. Erst 1629 wurde durch Otto von Guericke dieser wieder aufgenommen. Durch das Schwinden der wirtschaftlichen Bedeutung wurden in Ulm nach dem 30jährigen Krieg die bestehenden Wehranlagen nur noch unterhalten. Magdeburg wurde dagegen durch den Landesherren, den Kurfürsten von Brandenburg, zur stärksten brandenburg-preußischen Landesfestung ausgebaut. Zwei nach der alt-preußischen Festungsmanier angelegte Bastionsgürtel umschlossen schließlich die Stadt. Ein befestigter Brückenkopf, die Friedrichstadt, sowie die Zitadelle und das außerhalb der Umwallung gelegene Fort Stern kamen hinzu. Autor der Festungswerke war Cornelius von Walrawe.
1796 besetzten die Franzosen Ulm und veranlassten die Schleifung der überkommenen Festungsanlagen zugunsten eines Promenadenringes. In Magdeburg, das 1806 sich den Franzosen ergab, erfolgte dagegen eine Verstärkung der Festung. Ausgelöst durch die Vorbereitung des Russlandfeldzuges Napoleons wurde Magdeburg nicht nur in den Armierungszustand versetzt, sondern auch die Vorstädte abgetragen und nach außen verlegt.
In den Napoleonischen Kriegen drangen französischen Truppen über Süddeutschland hinaus tief in habsburgische Territorien ein. Nach Beendigung der französischen Vorherrschaft schien es geraten, an der Donau starke Festungen anzulegen. Ulm und Ingolstadt boten sich dafür an. 1818/1819 beschloss der Bundesrat, das oberste Gremium des Deutschen Bundes, Ulm zur Bundesfestung auszubauen. Mit der Entwurfsplanung wurde begonnen, jedoch die Umsetzung aufgeschoben. 1842 wurde der Beschluss erneuert und zwischen 1843 und 1853 umgesetzt.
Bis 1860 blieb dagegen in Magdeburg der überkommene Zustand weitgehend unverändert, auch wenn Planungen zum Umbau und zur Erweiterung der Festung verfolgt wurden. Magdeburg, noch immer eine preußische „Festung 1. Ordnung“ wurde zu einer an Bedeutung verlierenden Binnenfestung. Es hatte im Kriegsfall den Elbübergang zu sichern. 1863 wurde mit der Anlegung des Fortgürtels bestehend aus kasemattierten Erdschanzen begonnen und zwischen 1869 und 1873 eine neue, nach außen verlegte Umwallung der Süd- und Westfront geschaffen. 1873 wurde der Beschluss zum weiteren Ausbau der Festung Ulm gefasst und dieser zwischen 1877 und 1881 vollzogen. Die vorhandenen Werke wurden modernisiert und neue vorgeschobene angelegt. Das hatte nicht zur Folge, dass Ulm bedingt durch die Entwicklung der Waffentechnik 1883 zur „minderwichtigen Festung“ herabgestuft wurde, ein Beschluss, der die Festung Magdeburg 1886 ereilte und zur schrittweisen Aufgabe seiner inneren Festungswerke führte.
Am 23. Januar 1900 wurde in Berlin durch Allerhöchste Kabinetts-Ordre beschlossen, einen Teil der Ulmer Werke aufzugeben und gleichzeitig neue vorgeschobene zu errichten. Das geschah zwischen 1902 und 1914. Bemerkenswert ist, dass in derselben Kabinettssitzung der Beschluss zur Aufhebung der Festung Magdeburg und der Verkauf ihres Geländes gefasst wurden. Die Festung Magdeburg hörte 1912/13 auf juristisch zu existieren. 1902 wurde die Ulmer Stadtumwallung aufgegeben. 1907 folgte die von Neu-Ulm. 1919 hörte die Festung Ulm auf Grund des Versailler Vertrages auf zu bestehen. Das einstige Festungsgelände wurde, sofern nicht Werke bestehen blieben, auf der Basis des Generalbebauungsplanes von 1928 bebaut.
Im Zweiten Weltkrieg ist Ulm wie Magdeburg zahlreichen Bombenangriffen ausgesetzt gewesen. Sie führten zu einer 80prozentigen Zerstörung der Stadt. Der verheerendste Angriff erfolgt am 17. Dezember 1944. Die Zerstörung Magdeburgs folgte rund einen Monat später. Auch wenn in Ulm der mittelalterliche Straßengrundriss beibehalten wurde, wurde beim Wiederaufbau wie in Magdeburg kaum Rücksicht auf Vergangenes genommen. Der Vorstellung, den zu erwartenden Anforderungen des Straßenverkehrs folgen zu müssen, wurden die Baufluchtabstände vergrößert und eine Schnellstraße durch das östliche Festungsglacis der Donaustadt geführt. Das hat seine Parallele in dem 1973/74 eröffneten Magdeburger Ring, dem das Glacis der Westfront geopfert wurde. Während in Ulm der Missgriff zurzeit korrigiert wird, kommt es in Magdeburg mit dem Bau der sogenannten „2. Nord-Süd-Straßenbahnverbindung“ zu einem Totalverlust des einst durchgehenden „Grünen Ringes“.
Abschließend sei eine Kurzbeschreibung der Reichsfestung Ulm, zitiert nach dem Brockhaus´ Konversationslexikon von 1895, angefügt:
U … wurde von 1842 ab unter der Leitung des preuß. Ingenieurobersten von Prittwitz in Neupreußischer Befestigungsmanier befestigt. Den Brückenkopf bildet Neu=Ulm. Die Hauptfestung auf dem linken Donauufer zieht sich mit ihren geradlinigen Fronten von der Donau ober= und unterhalb Ulms auf das Plateau des nördlich 4 ½ km vom Strom entfernt liegenden Michelberges hin, auf welchem die starke Wilhelmsfeste mit der Wilhelmsburg gewissermaßen die Zitadelle bilden. Vor die Hauptumwallung vorgeschoben liegt ein Gürtel selbständiger Werke, Neu=Ulm hat vier Polygonalfronten und sechs detachierte Forts, welche sich dem Gürtel des linken Ufers anschließen.
Dr. Bernhard Mai, 2023